Fragen und eine Liebeserklärung

Schon als ich klein war wusste ich, dass ich eines Tages nach Argentinien und Buenos Aires gehen würde. War es eine Vorahnung oder Schicksal? Ich weiss es nicht aber hier bin ich. Das klingt wie im Märchen, oder? Aber nein… keineswegs… So ist es nicht. Es war keine Liebe auf den ersten Blick mit Buenos Aires und unsere Beziehung ist nicht immer einfach. Wenn man ins Ausland geht, ist es wie mit einer Schwangerschaft… alle sagen: “Ach wie schön…” und erwarten von dir, dass du das selbe sagst und dass du überglücklich bist, ein Kind zu bekommen. Aber die Realität sieht anders aus. Es gibt Hochs und Tiefs und die Tiefs sind manchmal häufiger als die Hochs aber niemand spricht davon.

Und so ist es auch mit Buenos Aires. Es gibt Tage, an denen du hinaus gehst und in eine saftige Hundescheisse trittst, die mitten auf dem Trottoir liegt und du alle argentinischen Hunde mitsamt ihren Herrchen verfluchst. Tage, an denen die Feuchtigkeit dich fast umbringt und du eine halbe Ewigkeit auf den Bus wartest, bis du irgendwann mal erfährst, dass die Hauptstrasse Nueve de Julio gesperrt ist. Dies geschieht jede Woche ein paar Mal und das heisst dann, dass gar nichts mehr geht! Und „gar nichts“ heisst in diesem Fall auch „gar nichts“! Tage, an denen dich zwei Typen auf einem Motorrad nett, also ohne Waffe bitten, ihnen die Tasche zu geben. Und wenn das nicht genug wäre, triffst du dich dann am Abend noch mit Freunden und Bekannten und alle stellen dir die selben Fragen: Was machst du hier? Bleibst du hier? Und wie ist es denn dort, in der Schweiz?

Aber naja, obwohl es im Moment wahrscheinlich noch so klingt, als würde ich mich nur über Buenos Aires und Argentinien auslassen, lästern und Witze über die Argentinier reissen wollen, geht es hier um eine Liebeserklärung. Eine Liebeserklärung an Buenos Aires und an die Liebe, die ich hier in Argentinien gefunden habe. Denn jedes Wort, das ich schreibe, schreibe ich im Bewusstsein, eine Entscheidung getroffen zu haben: die Entscheidung hier zu leben und diese Liebe zu leben. Ich würde die selbe Entscheidung 1000 mal wieder treffen.

Was nun die Frage betrifft: Bleibst du hier? Das ist eine andere Sache. Ich weiss noch nicht, wie lange ich hier bleiben werde. Im Moment geht es darum, mich an diese verrückte Stadt zu gewöhnen, den Alltag zu leben und so vielleicht eines Tages diese Frage besser beantworten zu können…

Ausländerin incognito

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Um es gleich vorweg zu nehmen: Nein, es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Bildern und dem Inhalt dieses Beitrags… Aber es ist Frühling und die Stadt erstrahlt in einem lanvendelfarbenen Kleid… Die Jacarandas blühen!

Wenn ich Freunden und Bekannten hier erzähle, dass ich mitten im Zentrum von Buenos Aires wohne meinen die meisten, es sei super so in der Nähe von allem zu sein, von Geschäften und Leuten, v.a. wenn ich allein unterwegs sei… und sobald die Worte „allein unterwegs“ ausgesprochen sind, heisst es im nächsten Atemzug: „Versuche dich einfach nicht sofort als „nicht von hier“ zu entlarven…“ Und es folgen gleich Tipps, wie ich als Ausländerin in Buenos Aires am besten incognito bleiben kann.

Die Tipps reichen von „Versuche mit einem bestimmten Schritt zu gehen, halte nicht zu oft an und glotze nicht in der Weltgeschichte umher!“, über „Nimm am besten keine Handtasche mit!“, „Kleide und schminke dich nicht zu auffällig!“, bis hin zu „Sprich nicht zu viel!“ (Stadtplan, Kamera und echter Schmuck sind ohnehin tabu) Am Schluss folgt meist die beruhigende Bemerkung: „Aber ganz ruhig, mach dir keinen Kopf… Pass einfach auf!“ Mach dir keinen Kopf? Ganz ruhig? Pass einfach auf? Soll das ein Witz sein? Wenn ich nicht sofort als Ausländerin auffallen will muss ich mir bei jeder Bewegung, jedem Wort, jedem Atemzug einen Kopf machen. Und dabei auch noch relaxt und ruhig aussehen? Und überhaupt, weshalb sollte ich incognito bleiben wollen? Ich bin stolze Doppelbürgerin und es kann ja auch mal toll sein, der Exot zu sein (obwohl sich ‘exotisch’ und ‘Schweiz’ per Definition eigentlich gegenseitig ausschliessen).

Die Gründe weshalb ich incognito bleiben sollte lassen sich ganz einfach auf 3 herunterbrechen:

1. Drücken wir es mal ganz unmissverständlich und klar aus: Man wird nicht verarscht. (Wenn man beispielsweise einen Tangokurs machen will… Woher bist du denn? Schweiz? Aha. 60 Euro die Stunde. Argentinien? 150 Pesos, also keine 15 Franken.)

2. Man wird nicht beklaut. (Man wird trotzdem beklaut!)

3. Alle hier raten es einem. (Dann muss wohl irgendetwas dran sein, oder?)

Wie bei einer Trennung gehe ich teilweise in unterschiedlicher Reihenfolge und sogar mehrmals am Tag die 4 Phasen vom Nicht-wahrhaben-wollen, über die Trauer, zur Wut bis hin zur Akzeptanz durch. Es gibt Tage an denen ich mit der Tasche und der Kamera hinausgehe (Jedoch nicht mit beidem am selben Tag. Und wenn ich die Tasche dabei habe, dann ist sie selbstverständlich fast leer und natürlich ist kein Portemonnaie darin). Oder ich ziehe trotzig meine knallblaue Mammutjacke an (Ja, es ist eine Schweizermarke und ja man sieht, dass es eine gute und teure Jacke ist, aber es regnet und ich will nun mal nicht nass werden!)… Ich korrigiere: Es gab Tage, zwei um genau zu sein, an denen ich meine knallblaue Mammutjacke angezogen habe… und wenn sie jetzt der Typ trägt dem ich sie gegeben habe, als er mich mit seinem Kumpel auf dem Motorrad sitzend darum bat, sieht er nur wegen der Jacke auch nicht wie ein Ausländer aus… An anderen Tagen hingegen gebe ich mir alle Mühe auf der Strasse gestresst auszusehen, als ob ich zur Arbeit gehen würde und ich schaue auf meine Armbanduhr und vergesse dabei, dass ich gar keine anhabe. Wenn ich etwas fragen muss, dann nur in kurzen Sätzen, so kann ich den argentinischen Akzent problemlos nachahmen: Hola, tomates? (= Hallo, hast du Tomaten? Wo sind sie? Ich sehe sie nicht.) Wichtig dabei ist die Mimik und der fragende Blick UND auszusehen als ob man keine Zeit hätte, um in ganzen Sätzen zu sprechen. Ausserdem lege ich auf das überfreundliche „Gracias“ mitsamt dem strahlenden Lächeln danach wert, da ich es nicht übers Herz bringe als unfreundliche, unerzogene Person dazustehen.

Manchmal kann aber auch ein einziges Wort ausreichen, um entlarvt zu werden. Letztens fragte mich jemand im Supermarkt, wo die Warteschlange beginnt und ich antwortete mit meinem universitären madrider Spanisch: „Allá.“ „Dort.“ Und zuckte noch im selben Moment als es über meine Lippen war zusammen, weil ich wusste dass es um mich geschehen war.

So wie es mit der Sprache geschehen kann, geht es auch mit anderen kleinen Dingen im Alltag. Als ich endlich mein eigenes Subtekärtchen gemacht hatte und zum ersten Mal allein in die Metro ging, fühlte ich mich super incognito. Ich ging mit selbstbewusstem, raschem Schritt auf das Drehkreuz zu. Als mich dieses jedoch nicht durchlassen wollte, höre ich jemanden quer durch die Metro schreien: „Du musst das Kärtchen oben hinhalteeeeen!!!“ Auch geschieht es immer wieder Mal, dass ich wenn ich jemanden begrüsse ertappt werde, wie ich auf den 2. und 3. Kuss auf die Wange warte und man mich mit einem „Was-ist-denn-mit-der-los-Blick“ anschaut.

Sobald ich schliesslich irgend etwas Bürokratisches erledigen muss, ist es ohnehin zwecklos. Ich warte dann bis zum letzten Moment um ihn hervorzuholen, meinen schönen leuchtend roten Pass. Doch sobald ich an der Reihe bin, weiss auch der Letzte in der Warteschlange, dass ich nicht von hier bin…