11. März 2020
Am Nachmittag habe ich Unterricht. Ich versuche, im Bus nichts anzufassen und von den anderen Personen Abstand zu halten. Als ich in die Fachhochschule komme, desinfiziere ich mir die Hände. Im Kursraum scheint alles wie normal zu laufen. Ich bin insgeheim froh, dass ich etwas spät dran bin und nur noch einen Platz alleine in der hinteren Reihe finde. Die anderen Studenten sitzen nebeneinander, so wie immer. Ich bin hin und her gerissen und zweifle an meiner Zurechnungsfähigkeit. Bin ich übertrieben? All das, was ich gestern gelesen, gehört, gesehen habe? Sollte ich etwas sagen? Die Dozentin fasst mir an die Schulter, um zu fragen, ob alles klar ist. Ist das ok? Wir machen Partner- und Gruppenübungen und reichen uns verschiedene Bücher herum. Wer nicht möchte wegen des Coronavirus müsse sie nicht anfassen. Augenrollen der Dozentin. Lachen einiger Mitstudenten. Anfassen? Ja? Nein? Eine Bemerkung machen? Ja? Nein? Ich fahre mit einem unguten Gefühl zur Stosszeit mit dem Bus nach Hause.
12. März 2020
Ich muss eine Arbeit verfassen. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. In einer Pause schreibe ich der Fachhochschule eine Mail und bitte um einheitliche und verbindliche Massnahmen, wie beispielsweise das Einhalten von Abstand in den Lehrveranstaltungen. Am Abend besuchen wir meine Eltern, halten zwar Abstand aber wir fühlen uns nicht gut dabei.
13. März 2020
Freitag der 13. An der Schule sprechen alle nur über das eine: Wird sie geschlossen? Die Schülerinnen und Schüler sind bestens über die „So schützen wir uns Kampagne“ informiert. Sie machen Witze: Wer ist heute der Seifenboss? Wer ist heute der Konjugationsboss? Sie sitzen alle eng nebeneinander, fassen sich an, lehnen sich an ihre Banknachbarn, teilen Stifte und Bücher… Normaler Schulalltag. Fast. Ein Schüler ist per Videocall von zu Hause aus dabei. Er war in Italien in den Ferien und ist nun in Quarantäne. Vier weitere Schüler fehlen. Sie sind krank. Wir verabschieden uns: Bis nächste Woche – vielleicht!
Sondersitzungen in der Schule, auch bei der Arbeit meines Mannes. Wir warten angespannt auf die Pressekonferenz des Bundesrats. Ich schaue ständig auf die Uhr. Dann ist es soweit. Die Lage sei ernst… Die Schulen werden geschlossen, in Restaurants sollen sich höchstens 50 Personen aufhalten und weitere Massnahmen. Ich gehe einkaufen und bin nicht die einzige, die die Idee hatte. Volle Einkaufswägen, kein Toilettenpapier mehr, fast kein Mehl, leere Reis- und Teigwarenregale. Ich kaufe auch zwei anstatt wie normalerweise eine Butter und mehr Milch und mehr Tomatensauce als sonst. Die Atmosphäre im Supermarkt ist sehr angespannt. Die Kassiererin flucht und wirkt gehetzt. Die Leute stehen dicht nebeneinander Schlange. Soll ich den vor mir in der Schlange oder diejenige hinter mir bitten, den Abstand zu wahren?
Samstag 14. März 2020
Unzählige Mails. Sämtliche Kurse abgesagt oder verschoben. Immer mehr Corona-Fälle in der Schweiz. Wie wird es weitergehen? Ist unsere finanzielle Existenz gesichert? Was, wenn die Schulen noch länger geschlossen bleiben müssen? Was, wenn es so schlimm wird, wie in Italien? Was, wenn wir bereits angesteckt wurden und es nur nicht wissen? Was, wenn wir andere angesteckt haben? Was, wenn das Ganze länger dauert? Wochen? Monate? Ein Jahr? Mehr? Was, wenn man keinen Impfstoff entwickelt oder dies erst in mehreren Monaten oder gar Jahren geschieht? Was, wenn die Massnahmen keine Wirkung zeigen? Was, wenn man nicht mehr reisen kann? Unsere Sommerferien? Fallen sie ins Wasser? Was, wenn wir für eine lange Zeit nicht nach Argentinien fliegen können, um die Familie zu besuchen? Was, wenn das alles nur Luxusprobleme werden? Was, wenn es nur noch ein Vor und ein Nach dem Coronavirus geben wird? Nichts wieder so wird, wie es war? Ich habe starke Kopfschmerzen und sinke bereits um 20 Uhr in einen tiefen Schlaf.